Mein kleines China

Mitte Oktober reiste die Trampolin-Nationalmannschaft zu einem 10-tägigen Trainingslager nach China und unter der Leitung unserer beiden Bundestrainer Michael Kuhn (Stuttgart)sowie Ute Luxon-Pitkamin (Salzgitter) konnten die zwölf ausgewählten DTB Kader Mitglieder die dortigen Bedingungen näher kennen lernen. Das Riesenreich befindet sich in einer Umbruchphase und bereitet sich sehr intensiv auf die nächsten Olympischen Sommerspiele vor, die im August 2008 in Peking stattfinden. Markus Kubicka, (Frankfurt FLYERS) einer der beiden gewählten Aktivensprecher, hat einen Reisebericht geschrieben, den wir hier veröffentlichen möchten.

Mein kleines China Trainingslager Tagebuch ( 12.10.06 – 22.10.06)

Nach einer langen Phase der Vorbereitung, mit vielen hilfreichen e-mails ua von Martina Braden mit Themen wie: Was sind angemessene Gastgeschenke, richtig Geld tauschen, Reiseliteratur oder sonstigen klugen Tipps, die uns in China weiterhalfen, begann unsere Reise mit Treffpunkt Frankfurt/Main Flughafen um 12.30 Uhr. Teilnehmer waren unser Dr. Ralph „ Pit “ Dalferth, unser Trainergespann Ute Luxon- Pitkamin, Michael „ Mitch“ Kuhn sowie die Athleten Adam Götz, Martin Gromowski, Karsten Kuritz, Dennis Luxon, Henrik Stehlik, Markus und Michael Kubicka, Anna Dogonadze mit ihrer Tochter, Jessica Simon, Sarah Syed, Lara Hüninghake und Catherine Auerbach.

Nach dem Einchecken wurden noch letzte Besorgungen wie Weltstecker, Lesestoff für den Flug oder Kleinigkeiten zu essen, falls einem das Essen in China mal nicht schmecken sollte, gemacht.

Der Flug nach Hong Kong dauerte elf Stunden, über die uns das Entertainmentangebot, die Mahlzeiten und eine grosse Portion Schlaf hinweg halfen. Allerdings war die eine Stunde Wartezeit im Flugzeug auf verspätete Fluggäste schon ziemlich nervig. Aufgrund fehlender Lüftungen in der Maschine wurde der Flug zum Ende hin recht anstrengend, weshalb wir nach der ganzen Sitzerei ziemlich platt waren. Dennoch war unsere Neugierde auf die Stadt geweckt, und bei einer Stadtrundfahrt wollten wir uns von dieser Metropole einen kleinen Eindruck verschaffen.

Unser Führer Willy war sehr engagiert, zeigte uns während der Fahrt verschiedene Fotos, sang bei einer Tunneldurchfahrt „ love me tender“ und erzählte uns in lustigem chinesisch-englischem Akzent die wichtigen Dinge über die Besonderheiten der Stadt. So zB. Die 99-jährige Verpachtung der Stadt an England im Zuge der damaligen Opiumkriege oder dass in Hong Kong das viert höchste Bürogebäude das „International Finance Center“ steht. Dieses hat 88 Stockwerke und ist 415 Meter hoch. Ausserdem zeigte er uns ziemlich grosse Wohnhäuser, in denen 80000 Menschen leben.

Leider war die Rundfahrt recht hektisch. Wir hatten nicht viel Zeit, an den verschiedenen Orten zu verweilen. Es ging ungefähr so: An diesem Aussichtspunkt über die Stadt habt ihr 15 Minuten Zeit, an der Kinofilmmeile mit eigenem „Walk of fame“ treffen wir uns in 10 Minuten und beim Hong Kong Tempel habt ihr 25 Minuten Zeit. Dieser ist der Älteste der Stadt, ist 150 Jahre alt und war eine von Räucherstäbchen verrauchte Bude in Bambusbauweise. Die Rundfahrt endete mit einer Shoppingtour durch Hong Kongs Boutiquenviertel. Hong Kong ist eine pulsierende Grossstadt, in der man alles findet- supermoderne amerikanisch anmutende Wolkenkratzer, aber auch slumähnliche Wohnviertel.

Mit der Fluggesellschaft „Dragonair“ legten wir die letzten 1,5 Flugstunden nach Fuzhou zurück und hatten dann noch eine Stunde Busfahrt zu unserem Hotel. Da wir spät abends ankamen, war es schon dunkel, deswegen sah man nicht viel von der Stadt, aber durch die vielen Leuchtreklamen überall, fühlte ich mich schon etwas an Las Vegas erinnert. Auffällig war der Verkehr. Es zeigte sich , dass der mit dem grössten Wagen die Vorfahrt hat.

Nachdem die Zimmer bezogen wurden und es eine kurze Besprechung über den nächsten Tag gab, freuten wir uns auf unsere erste chinesische Mahlzeit. Um es vorweg zu nehmen, das chinesische Essen ist für uns alle ein grosses Abenteuer gewesen- egal ob Frühstück, Mittag oder Abendessen es gab so gut wie nie etwas, das nach europäischer Zubereitung aussah. Einige mussten sich erst an das Essen mit Stäbchen gewöhnen. Das Frühstück war die Mahlzeit, die am weitesten vom Deutschen weg war. Es gab kein Brot, keinen Aufschnitt oder gar Cornflakes. Einzig Milch oder Spiegelei waren uns bekannt. Dafür gab es viel Gemüse, unterschiedliche Suppen, Pasten und eine Art Knödel oder auch Meeresfrüchte.

Auch Mittag und Abendessen gab es in reichhaltiger Buffetform. Es gab ganz neue Geschmackserlebnisse und Gerüche, dennoch war es ähnlich wie ein Besuch in einem chinesischen Restaurant. Auf Wunsch konnte man sich einen Wok auf den Tisch stellen lassen und sich sein Essen individuell zubereiten. Grosse Hemmungen gab es bei den Meisten, wenn es darum ging, die noch lebenden Krebse und Scampie ins kochende Wasser zu geben. Martin folgte zB. Ganz streng seiner Philosophie nichts zu essen, bei dem man noch erkennen konnte, wie es lebend aussah. Ebenso die Art und Weise, wie die Chinesen sich beim Essen geben, ist anders als bei uns. An einem Vierertisch kann man auch zu siebt sitzen, zu trinken gibt es reichlich Bier und Berge von Essen stehen auf dem Tisch. Zusammen mit der Lautstärke fühlte man sich an festliche Gelage erinnert.

Am nächsten Morgen begann unser Training um 9:30 Uhr. Bei Ankunft in der Halle waren wir von der Infrastruktur sehr beeindruckt. Es war nicht einfach nur eine Trampolinhalle, sondern nur ein Teil eines riesigen Sporthallenkomplexes. Es gab zwei Etagen. Im Erdgeschoss eine Halle mit 12 Trampolinen und noch mal eine Halle im dritten Stock, in der wir trainierten mit sechs Trampolinen. Dieser Teil war aber nur ein Drittel des Gebäudes. Im Erdgeschoss war der zweite Teil eine Kunstturnhalle und bei uns drei Basketballfelder. Pit bekam eine Hallenführung, denn das Sportzentrum bestand aus mehreren Gebäuden. So sah er neben verschiedenen Kampfsportarten auch Tischtennis, Badminton und Leichtathletik.

So toll die gerade neu erbauten Hallen auch waren, merkte man aber, dass es Schwachstellen gibt, so zB in der Stromversorgung. Insgesamt hatten wir nur bei drei Trainingseinheiten Licht, so dass es abends recht duster wurde, ausserdem funktionierten die Fahrstühle nicht oder selten. Ein dortiger Arbeiter beging den Fehler, ohne Handy einen Fahrstuhl zu betreten und musste die Nacht darin verbringen, wie uns erzählt wurde. Auffällig war auch, dass permanent Smog über der Stadt lag und es in der Halle sehr oft nach Dieseltreibstoff roch.

Von Anfang an lief das Training bei allen super! Natürlich galt es erst, sich mit der Zeit- und Klimaumstellung einzurichten, aber schon am zweiten Trainingstag legten wir richtig los. Zum Einen lag das an den zwei Teambesprechungen, die wir bei Mitch im Zimmer führten, in denen er sehr motivierend den Startschuss zur WM- Vorbereitung gab und daran appellierte, möglichst viele Eindrücke in China aufzunehmen und dabei alles für die selbst gesteckten Ziele im Training zu tun. Zum Anderen lag das auch an dem Training der Chinesen. Diese turnten ausnahmslos über 16,5 Punkte Schwierigkeit bei den Herren und die Damen standen dem mit zwei Triffis in der Kür in nichts nach. Auch die Länge der Einheiten sprach für sich. 20 oder mehr Durchgänge waren Normalität. Das Highlight waren neun Kürübungen mit 16.7 Schwierigkeit eines Chinesen in einer Trainingseinheit. Das motivierte jeden Einzelnen von uns und alle- Männer wie Frauen- wollten und haben dieses Pensum auf das eigene Training übertragen. Nur war unsere Vorgabe neue Sprünge und Verbindungen zu erarbeiten. Unser Fokus lag nicht auf Kürquantität..

Trotz der Sprachbarriere kam es zu einem schönen Miteinander der chinesischen und deutschen Sportler. Sei es Durch die Übergabe der Gastgeschenke, gemeinsamer Fotos, Ausflügen, Scherzen, die man miteinander trieb oder anerkennendem Applaus nach einer gelungenen Übung / Verbindung.

Die ersten Eindrücke von Land und Leuten sammelten wir in unserer Freizeit, die nach dem Abendessen begann. Als aller erstes fiel auf, dass in Fuzhou 24 stunden am tag action ist. Durch die Strassen wuselten ununterbrochen Passanten, Mopeds, Fahrräder, Rikschas sowie Autos,Lkws und Busse. Verschiedene Verkehrsregeln, die bei uns unumstösslich gelten, wurden kaum beachtet. Besonders Fussgänger haben es schwer. Trotz grüner Ampeln oder Zebrastreifen heisst es „ Holzauge sei wachsam“. Mopeds, Radfahrer oder Rikschas können von Autos auch schon mal zur Seite geschoben werden und Taxifahrer kennen schon mal gar keine Gnade. Schnelles und rsikantes Autofahren gehört bei diesem Klientel wohl zum guten Ton. Wenn wir zum Shopping down town fuhren, konnte man bei jedem die Panik im Gesicht erkennen., ebenso die Erleichterung, wenn man heile aus dem Taxi gestiegen war.

Ein ganz grosses Dankeschön geht an unsere beiden chinesischen Betreuer Jao Hua und Charlie dem Arzt/Masseur. Letzterer stammt aus Fuzhou und konnte uns mit Rat und Tat zur Seite stehen. Beide waren in höchsten Maße hilfsbereit, waren immer da, wenn wir was brauchten, es Probleme gab oder wenn wir Fragen hatten. Wir waren rundum betreut, jeder Wunsch wurde uns von den Augen abgelesen und ich kann wirklich sagen, dass ich nie eine wärmere Gastfreundschaft wie in China erlebt habe. Das betrifft nicht nur unsere Betreuung, egal in welcher Situation wir Kontakt mit Chinesen kamen- Schneider, Friseur, Supermarkt, Shop oder Passanten auf der Strasse- immer wurde uns ein Lächeln geschenkt und wir wurden freundlich behandelt. Das lag mit Sicherheit auch daran, dass wir so ganz anders aussahen und das für die meisten Einheimischen ziemlich spektakulär zu sein schien…

Als kulturellen Gegenpol zum vielen Training standen zwei Tempelbesuche auf dem Plan. Der erste lag etwas ausserhalb der Stadt im Gebirge. Wir betraten den Tempel sehr ehrfürchtig. Jao Hua wies uns darauf hin, dass Fotografierverbot an den gekennzeichneten Stellen zu beachten. Wir lernten, dass der Glaube an Religion fest im chinesischen Volk verankert ist, da er eine lange Tradition hat- der von uns besichtigte Tempel ist 1500 Jahre alt, aber auch weil der Staat keinen Einfluss auf die Ausübung der Religion hat. Von der Atmosphäre fühlte man sich an ein Shaolinkloster samt Mönchen in gelben Kutten erinnert, wie man sie aus Kung Fu Filmen her kennt.

Zwei Tage später besichtigten wir den anderen Tempel gemeinsam mit den chinesischen Sportlern. Dafür fuhren wir ans Meer und setzten zu einer Insel über. Auf der Fähre wurden wir recht penetrant dazu aufgefordert, Perlenketten zu kaufen, die immer billiger wurden, je näher wir unserem Ziel kamen. Auf der Insel aßen wir gemeinsam zu Mittag. Dieser Tempel zeigte ein anderes Baukonzept. Er schien keinen so ausgeprägt religiösen Charakter zu haben, sondern durch seine Weitläufigkeit und seinen grossen Plätzen, wirkte er eher repräsentativ mit gesellschaftlichen Funktionen.

Zur Entspannung fuhren wir dann an den Strand, wo die Jungs Beachsoccer spielten, Ute auf einer Bank entspannte und der Rest am Wasser Spass hatte. Nach einem erlebnisreichen aber auch anstrengenden Tag sind wir dann am frühen Abend im Bus fröhlich singend nach Hause gefahren.

Dieser Tag brachte die Erkenntnis, dass man einige Vorurteile begraben konnte. Mag sein das China ein politisch totalitäres Regime hat, dieses spürt man im Alltag aber nicht. Es gab keine Statuen oder Bilder der politischen Lenker und ich erkannte auch sonst keinen politischen Einfluss des Systems um das Volk auf die kommunistische Linie zu einen. Was mich allerdings traurig stimmte war Jao Huas Erklärung für die hektische Betriebsamkeit in der Stadt. Die Leute hetzen durch die Stadt, da sie jeden Tag ums Überleben kämpfen müssen.

Mitch und Ute führten mit jedem Teilnehmer Einzelgespräche, um das Jahr 2007 zu planen, die Ziele zu formulieren und Dinge wie Lebensführung, Fitness und Karriereplanung bis 2008 zu besprechen. Ziel der Gespräche war eine verbindliche Vereinbarung beider Seiten zu schließen, um sich so professionell wie möglich auf die nächste Saison vorzubereiten, damit der grösstmögliche Erfolg herauskommen kann.

Dank der vielen lobenden Worte des Trainerduos und der hervorragenden medizinischen Betreuung durch Pit und Charly, kam es zu vielen Leistungssteigerungen. Adam gab mit einer 17,2 Schwierigkeit den Startschuss für weitere persönliche Rekorde. So zogen Dennis mit 16,5 und Martin mit 16,6 nach. Auch Karsten zeigte eine Verbindung mit Triffisrudi b während Henni und Micha an ihrer 16,0 feilten. Ich war sehr froh, wieder an mein altes Niveau herangekommen zu sein. Anna erarbeitete sich die Sprünge Voll doppel c und 1/2ein Triffis c , Lara schaffte Voll ein halb b, Jessica verbesserte ihre Triffisverbindungen, Sarah erlernte 1/2ein rudi b und Voll Voll c, während Cathi nach einer längeren Krankheitspause grosse Fortschritte machte. Somit war das Trainingslager in jeder Hinsicht ein voller Erfolg.

Leider ging die Zeit viel zu schnell vorbei, denn als wir so richtig gut in Schuss waren, kam es schon zum Abschlussbankett, bei dem neben den Trainingsgruppen auch die wichtigen Entscheidungsträger des Verbandes vertreten waren. Man bedankte sich für unser Kommen aber auch für unser erstes gemeinsames Trainingslager im Zuge der Olympiavorbereitung 2004 in Stuttgart. Mitch gab den Dank zurück, freute sich über die Zusammenarbeit der letzten zehn Tage und brachte zum Ausdruck, dass dies das beste Trainingslager war, das wir je hatten.

Mit einem opulenten Mahl, dem Tauschen von Gastgeschenken, vielen Fotos und einem Besuch der Karaokebar, ging unsrer wundervoller Aufenthalt in China gesellig und lustig zu Ende.

Markus Kubicka

Heinz-Peter Michels