persönliches Fazit

Nachfolgend einige persönliche Zeilen unseres scheidenden Landesfachwartes Rainer Stahl

Eine persönliche – subjektive – Bilanz nach drei Jahrzehnten

Liebe Trampolinfreunde,

eine Postkarte, frankiert mit 10 Pfennigen, markiert den eigentlichen Beginn meiner – wenn ich richtig gerechnet habe – 24-jährigen Karriere als Landesfachwart: Mit wenigen Zeilen hat mich im Frühjahr 1975 mein Vorgänger Wilfried Nack „überredet“, das Amt des LFW zu übernehmen. Heute bringe ich zwei prall gefüllte DIN-A-4-Aktenordner mit, um Euch klar zu machen, warum ich, wie vor einem Jahr angekündigt, keinen Tag länger als Vorturner zur Verfügung stehe. Die Zeiten haben sich gewaltig geändert. Umgerechnet auf Postkarten würde der Inhalt dieser beiden Ordner rund 5000 eng be-schriebene Karten füllen – ich will Euch meine Gedanken in maximal 100 Zeilen darlegen. Vorweg muss ich sagen, dass dies eine willkürliche Auswahl aus drei Jahrzehnten ist. Und die, nebenbei be-merkt, füllen an die 100 Ordner in meinem Keller, weil ich kaum ein Blatt weggeworfen habe…

Ab Mitte der siebziger Jahre, das sage ich hier mal ganz unbescheiden, habe ich echte Pionierarbeit als LFW geleistet. Manches klingt heute schon fast unglaubwürdig. Etwa dies: Zuallererst habe ich dafür gesorgt, dass wir die Pflichtübungen für Hessische Meisterschaften eins-zu-eins aus dem Aufgabenbuch des DTB übernommen haben – mein Vorgänger hatte so „komplizierte“ Übungsteile wie beispielsweise den Barani für zu schwierig gehalten und deshalb herausgenommen…

Seine Befürchtung, zu den HM würden nun zu wenige Aktive antreten, bewahrheitete sich nicht – stattdessen konnte ich als Erfolg verbuchen, dass nun endlich die ersten Hessen zu Deutschen Meisterschaften antraten. Und zwar durchaus beachtlich –die erste Finalteilnahme (1976 in Rinteln) scheiterte allerdings an der Farbe der Turnschläppchen…

Ebenfalls in der zweiten Hälfte der Siebziger habe ich mich um die Verbesserung unseres Liga-Betriebs bemüht und zugleich den TV 1843 Dillenburg als einen der ersten hessischen Vereine in die Regionalliga (heute Bundesliga II) geführt. Die Schülerliga, nebenbei bemerkt, habe ich mir knapp zwei Jahrzehnte später einfallen lassen – ich weiß noch, wer anfangs dagegen und kurz darauf laut-starker Befürworter war… Heute können wir nicht nur auf unser im DTB beispielhaftes Liga-System stolz sein, sondern auch darauf, in den drei Bundes-Ligen der am besten vertretene LTV zu sein.

Rückblende in das Jahr 1980: Bafke Spang vom TV 1843 Dillenburg wurde Deutsche Schülermeis-terin und verdiente sich zusammen mit ihrer Vereinskameradin Carola Haberzettl auch den Syn-chron-Titel. Ich mag mich irren, aber meines Wissens waren dies die ersten nationalen Siege für den HTV, denen bekanntlich noch viele folgten – bis heute ist Bafke mit WM-Silber und -Bronze so-wie mehreren EM- und JEM-Medaillen immer noch die herausragende Trampolinturnerin des HTV. Ganz wesentlich, schon tausendmal habe ich das erzählt, hatten wir dies (und vor allem auch die DMM-Titel des TVD in 1983 und 1984) der Tatsache zu verdanken, dass Heinz-Peter Michels in Frankfurt als Bundestrainer tätig war und gerne auch mal hessische Talente betreute… Apropos Talente: HPM entdeckte sie noch mit bloßem Auge, ohne komplizierte Tabellen…

Bei den Männern sorgten Michael Serth sowie Markus und Michael Kubicka (und auch ihr großer Bruder Martin) für eine grandiose Dominanz des HTV auf der nationalen Ebene – deren tolle Bilanz würde hier den Rahmen sprengen. Noch eine Turnerin muss ich nennen, die bei Welt- und Europa-meisterschaften großen Ruhm für Hessen erturnt hat: Doppelmini-Spezialistin Kathrin Deuner.

Zu meiner ganz persönlichen positiven Bilanz gehören daneben die World-Age-Group-Competitions 1990 in Dillenburg: Eine Woche lang waren über 1000 Trampoliner aus 21 Nationen bei uns zu Gast.
Dank vieler ungemein engagierter Mitarbeiter – vor allem aus Hessen – waren es unvergleichlich schöne Weltjugendspiele, an die ich mich immer wieder gern erinnere! Und Ihr sicher auch.

Als ich dann drei Jahre später glaubte, meinen Traum von Olympia zu Papier bringen und in der FAZ veröffentlichen zu müssen, habe ich mich selbst „abgeschossen“: Unter großem Wehklagen ob die-ser „Funktionärs-Beleidigung“ wurde ich 1994 als LFW „unehrenhaft“ entlassen – lies: Abgewählt.

Ironie Nr. 1 der Geschichte: Den 1994 zum LFW gewählten Uwe Grimm hatte ich längst als meinen Nachfolger ausgeguckt – allerdings nicht per Postkarte, sondern während eines stimmungsvollen ge-meinsamen Winter-Wochenendes des TVD am Rennsteig. Ironie Nr. 2 der Geschichte: 1998 wurde Trampolinturnen dann haargenau so olympisch, wie ich es 1993 beschrieben hatte – der Weltverband wurde aufgelöst und ging als Disziplin im Internationalen Turnverband auf, womit alle (zuvor nicht erfüllbaren) olympischen Aufnahme-Bedingungen sofort erreicht waren. Dass 2000 in Athen der erste deutsche Trampolin-Olympiaturner ein Hesse war, nämlich Michael Serth, ließ auch mich weit nach Mitternacht im Krankenhaus-Bett vor dem Fernseher „schweben“…

Einigermaßen wieder fit, habe ich mich im Frühjahr 2001 erneut zur Verfügung gestellt, als Uwe aus beruflichen wie familiären Gründen seine äußerst engagierte Arbeit nicht mehr fortsetzen konnte. (So ganz „weg“ war ich ja ohnehin nicht gewesen, da ich von 1995 an vier Jahre lang die Liga-Runde ge-managt und, wie bereits erwähnt, die heute bestens etablierte Schülerliga eingeführt hatte…)

Meine letzte Amtszeit, 2005 mit Ansage noch einmal um ein Jahr verlängert, war nicht mehr lustig – besser gesagt: Zwiespältig. Generell ungemein erfreulich, da wir viele hervorragend organisierte Landes-Meisterschaften sowie beachtliche nationale und internationale Erfolge verbuchen konnten. Absolut unerfreulich, nein: nervenaufreibend bis zur Herzattacke, dagegen wegen eines einzigen Themas: Die dem HTV dank der Frankfurter Olympia-Bewerbung „geschenkte“ Landestrainer-Stelle war und ist ein „Danaer-Geschenk“ – in Geschichtsbüchern auch „Trojanisches Pferd“ genannt…

Tausende von Zeilen habe ich im Verlauf der fünf zurückliegenden Jahre dazu geschrieben, das sind die oben erwähnten Ordner. Nun mag ich nicht mehr. Nur kurz: Das Land wollte uns eine Trainer-Stelle finanzieren, H.P. Michels hatte gleich zwei Kandidaten dafür parat, und die wollten sich dank eines Zuschusses der Stadt Frankfurt den Job mit 40 bzw. 30 Wochenstunden teilen. So geschah es dann auch, doch wenig später meinten alle drei, es müsse mehr Geld her… Bis heute in den höchsten Tönen gelobt wird von mir wie von allen anderen mir bekannten Experten die fach-liche Qualifikation und erfolgreiche Arbeit von Tatjana Erkin und Vladimir Cojoc – genau so vehement kritisieren aber ich und viele andere, dass beide etliche Essentials ihrer Tätigkeit nicht erkannt haben – oder aufgrund falscher Einflüsterungen nicht erkennen konnten: Die Bezeichnung Landestrainer verlangt meines Erachtens einfach, dass ein Amtsinhaber nicht nur an seinem Hauptdienstort, also Frankfurt, sondern von Zeit zu Zeit auch in den HTV-Stützpunkten Nord und Mitte tätig ist. Da ich mich als LFW immer für das ganze Hessen-Land verantwortlich gefühlt habe, wollte ich diese eigent-lich simple Auslegung des Begriffs „Landestrainer“ seit 2002 durchsetzen – nie zuvor im Leben habe ich für solch ein eigentlich einfaches Anliegen so viele Schreiben und Sitzungen ergebnislos vertan. Die Palette reichte von Nicht-Verstehen bis zur schlecht kaschierten Verweigerung.

Jüngstes Beispiel: Im November 2005 hat der LFA fünf Stunden lang in Dillenburg getagt und im Bei-sein von HTV-Vizepräsident Manfred Schweiger sowie LSB-Vertreter Thomas Neu seine Wünsche für die neuen Dienstanweisungen für die Landestrainer Erkin und Cojoc detailliert formuliert – wie ich erst seit kurzem schriftlich vorliegen habe, hat Schweiger nach einem Gespräch mit den beiden klammheimlich unsere wichtigste Anforderung – alle zwei Monate Anwesenheit im Kadertraining in Nord und Mitte – einfach eliminiert und nur noch die zweite, gleich wichtige, Forderung nach jeweils zwei Wochenend-Lehrgängen in den LLZ Nord und Mitte übrig gelassen. Meine Sorge: Die beiden lachen sich schlapp über uns und werden ohne Respekt vor dem LFA weitermachen wie bisher…

Ich kann angesichts dieses offenbar aussichtlosen Kampfes gegen Windmühlen nicht mehr lachen. Ich mag einfach nicht mehr. Ich habe trotz meiner ernsthaften gesundheitlichen Probleme nach wie vor gute Untersuchungs-Ergebnisse und Prognosen, doch ich will mir diesen Zirkus einfach nicht mehr antun. Ich will dem Trampolinturnen im HTV weiterhin möglichst viele Jahre verbunden sein, sofern Ihr es wünscht, aber nur freiwillig: Mit Kamera und Notizblock und gerne auch als Archivar.

In diesem Sinne grüße ich Euch alle ganz herzlich

Rainer

Mirko Bott